Anna Raischl

SUDKESSEL

Auf der Rückseite der Mariahilfer Straße befindet sich ein einzigartiger Bestand. Eingekesselt von den hohen, schmuckreichen Fassaden der Nachbarbauten steht eine geduckte Kubatur, die sich durch ihre Enge, Nischenhaftigkeit und Kleinteiligkeit auszeichnet. Zwei Vorderhaushälften führen zu einem Hof, der schließlich in eine grobe, industrielle Garagenhalle mündet – ein hoher, weiter Raum mit unverwechselbarem Charakter. Dieses Projekt lotet die Idee der Zurückgezogenheit innerhalb eines stark verdichteten Stadtkontexts aus. Kein Blick führt zu den Nachbarn; eine allumfassende, fensterlose Wand wird zur raumhaltigen Hülle, die sämtliche Funktionen und Räume aufnimmt. Der Zugang zur Straße wird zur One-Way-Situation: ein schlichter Eingang, der zugleich der einzige Ausgang ist. Der Weg durch die Baulichkeit wird zum Korridor, während alle Funktionen entlang der Außenwand angeordnet werden. Hinten befindet sich die „robuste“ Seite, vorne die Schauseite. Die robuste Seite bietet Platz für Handwerk – in diesem Fall die Bierbrauerei. Die großzügige Garage wird zum Sudhaus, in dem Malzschroter, Braukessel, Gärtanks und eine Flaschenfüllerei unter der gewölbten Halle Platz finden. Eine Öffnung des Erdgeschosses zur Lindengasse zieht Neugierige entlang des Korridors vorbei am Bierladen in den Hof. Dieser verwandelt sich im Sommer zur Schankbühne und wird zum Ausgangspunkt für Brauereiführungen. Im Zuge dessen führt eine Besucherstiege zu einer speziell entwickelten Bierverkostung. Ein zweiter Aufgang an der gegenüberliegenden Wand bleibt für Besucher geschlossen und ergänzt den Betrieb mit zwei Wohneinheiten im ersten Obergeschoss. Die Transformation des Gebäudes symbolisiert den Wandel: früher Benzin, heute Bier. Früher Wohnen, heute Wohnen. Diese gezielte Durchmischung von Produktion und Leben steht exemplarisch für die Vision einer produktiven Stadt.